(Beilage zum Kirchenanzeiger Nr. 93)
Bis 1810 hatte das Geschlecht der Freiherrn von Auer das Gessenberger Gut im Besitz. Von da an wechselte es dauernd den Besitzer - meist waren es Preußen. 1910 war Besitzer Karl Moeltgen, der immer unterschrieb: "Karl Moeltgen-Gessenberg, königl. preußischer Leutnant a.D. und Schloßgutsbesitzer“.
Bei diesem Moeltgen war nun Johann Heitauer beschäftigt. Heitauer hatte den Krieg 1810/71 mitgemacht und offensichtlich vergessen, einen Antrag auf Kriegsrente zu stellen. Am 6. Juni 1910 richtete Heitauer ein Gesuch an das Kgl. Bayerische Kriegsministerium:
"Der Unterzeichnete lebt in den traurigsten Verhältnissen. Seine Einkünfte sind 10 Mark Reichsbeihilfe und 10,55 Mark Invalidenrente pro Monat. Hiervon soll ich mich, meine Frau und meine Tochter und zwei Enkelkinder ernähren. Außer einem kleinen Häuschen (Lehrermannhäusl in Burgstall) und einigen Dezimalen Grund besitze ich nichts, keine Kuh, keine Geiß, keine Henne. Ich muß sämtliche Lebensmittel kaufen. Mein Häuschen ist mit 500 Mark Hypothekschulden und mit 100 Mark Kurrentschulden belastet. Diese entstanden durch Baureparaturen. Diese 100 Mark soll ich nun bezahlen und ich bin jeder Mittel bar. Da ich seit dem Feldzug an aufgeblähter Lunge leide, kann ich auch nichts verdienen. Mein ganzer körperlicher Zustand ist derart, daß ich nichts mehr verdienen kann. Die Frau ist die meiste Zeit bettlägerig, die Tochter muß sie pflegen und für die Kinder sorgen. Ich bitte das Hohe Königliche Kriegsministerium um eine einmalige namhafte Unterstützung im Gnadenwege, damit ich doch vor der äußersten Not bewahrt werde, nämlich vor der Zwangsversteigerung meines Häuschens."
Von der Gemeindeverwaltung wird das Gesuch nun warm befürwortet und nun geht der Papierkrieg los. Insgesamt 24 Schreiben gehen hin und her, immer auf dem Dienstweg, versteht sich. Unter anderem bestätigt das Gendarmeriekommando im Wesentlichen die Angaben Heitauers und führt an, dass er auf dem Gut Gessenberg beschäftigt ist, wo er nur leichte Arbeiten verrichten kann und dass ihn der Gutsbesitzer Moeltgen "mehr aus Wohltätigkeit“ dort beschäftigt. (Heitauer bekam in Gessenberg nur die Kost, aber keinen Lohn). Der Gendarm berichtet, dass Heitauer täglich eine Mark Lohn erhält, aber das entspricht nicht der Wahrheit.
Heitauer offenbart sein Einkommen und seine Ausgaben:
Einnahmen: (im Jahr)
Reichshilfe 120 Mark
Invalidenrente 127 Mark
Invalidenrente Frau 108 Mark
355 Mark
Die Ausgaben für ein Jahr gibt er in folgenden Zahlen an:
Bodenzins 3 Mark (M) steuern und Umlagen 3.50 M, Milch 150 M, Brot 150 M, Mehl 60 M, Speisefette 50 M, Kleidung (3 Erwachsene und 2 Kinder) 50 M, Arzt und Apotheke 20 M, Kaffee und Zucker 70 M, Reparaturen am Haus 30 M, Holz 70 Mark.
Bei Sayer hat er 80 Mark Schulden, bei der Armenseelenbruderschaft Waging eine Hypothekenschuld von 500 Mark, dem Spengler schuldet er 17 Mark, dem Bäcker Joas 7 Mark, einem Voitswinkler 7 Mark und dem Arzt und Apotheker 20 Mark. Gutachter schätzen den Wert des Häuschens mit 600 Mark.
Dies alles wurde dem Kriegsministerium zusammen mit Empfehlung der Gemeinde, mit Leumundszeugnissen, mit Vorlage der Militärpapiere, mit ärztlichen Attesten eingeschickt, zunächst an das Hauptmeldeamt Rosenheim, das die ganzen Unterlagen wieder an die Gendarmerie in Waging zurückschickt, dann an das Generalkommando I in München und von dort an das Hohe Kgl. Kriegsministerium in München.
Das Ministerium entschied am 10. Oktober 1910:
"Dem Gesuch des Heitauer um Unterstützung vom 6. Juni 1910 kann nicht stattgegeben werden, weil nach Aktenlage eine besondere Bedürftigkeit nicht vorliegt.“
Nun schaltete sich der Königlich preußische Leutnant a.D. ein und glaubte, er könne etwas erreichen.